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Beziehung – Projektion

 

Jede Beziehung ist eine Begegnung von zwei Personen, die dabei ihre Ich-Grenzen aufgeben oder durchlässig machen, und sich in dem, was zwischen ihnen passiert, aneinander verändern und weiterentwickeln.

 

In Beziehungen wird immer projiziert. Projektion ist nichts Negatives, sondern durchaus positiv und sogar notwendig. Ohne Projektion keine Beziehung. Es kommunizieren zwei Personen auf der bewussten und auf der unbewussten Ebene. Das Unbewusste ist gegengeschlechtlich und daraus entsteht das innere Bild des Partners (Animus), der Partnerin (Anima). Daher kann man am anderen sich selbst besser kennenlernen. Entscheidend ist, dass Projektion und Realität nicht zu sehr voneinander abweichen.

 

In einer Partnerbeziehung muss dabei „die Chemie stimmen“, und dafür ist die unbewusste Projektion bestimmend. Die Chemie wird dann stimmen, wenn das innere gegengeschlechtliche Bild (Anima, Animus) dem realen Partner mehr oder weniger entspricht oder diese/r in diesem inneren Bild gesehen werden kann. Dadurch wird es im Idealfall möglich, am Partner, an der Partnerin sich selbst kennenzulernen, während diese/r sich mit dem Projektionsbild auseinandersetzen muss/kann/darf.

 

Oft ist es aber so, dass die Projektion nur durch einen Teilaspekt des anderen ausgelöst wird, so dass das Projektionsbild als Ganzes (Anima, Animus) gar nicht dem wahren Charakter des anderen entspricht. Der eine sieht daher im anderen etwas, das gar nicht diesem anderen entspricht. Beim anderen kann es gar nicht zu einem lebendigen Austausch mit dem Projektionsbild des einen kommen, das durch Resonanz beide verändern und sogar angleichen könnte. Solange der Teilaspekt, der die Projektion ausgelöst hat, im Vordergrund steht, wird die Beziehung halten, mit der Zeit wird die Diskrepanz zwischen Projektion und Realität aber immer deutlicher und die Beziehung letztlich sprengen.

 

Ohne Projektion keine Beziehung

Dabei ist die unbewusste Projektion etwas durchaus Positives und sogar Notwendiges. Ohne Projektion keine Beziehung. Sie ist das Unerklärliche einer Liebesbeziehung, weil sie aus der Tiefe der eigenen Psyche kommt. So wie die bewussten Personen kommunizieren, so auch deren Unbewusstes. Da Projektion und Realität nie ganz übereinstimmen, macht das die Spannung aus – und die Möglichkeit oder Chance, sich aneinander zu entwickeln.

 

Kompliziert kann es werden, weil der andere ja genauso projiziert, und seine Projektion durchaus eine ganz andere sein kann. Das liegt schon daran, dass eine Frau mehr beziehungsorientiert (ganzheitlich) ist und ein Mann mehr objektorientiert (fragmentierend) – in verschiedensten Variationen. So kann es sein – angenommen – dass eine Frau sich sehr umfassend erlebt, und der Mann, auf den sie, aus welchen Gründen auch immer, trifft, einen sehr eingeschränkten Horizont hat. Innerhalb dieses eingeschränkten Horizonts liegt die Anziehung, die die Frau verspürt, der Teilaspekt, der die Projektion auslöst.

 

Ihre Projektion entspricht aber ihrem Inneren (Animus), und in diesem Fall nicht der realen Person als ganzer. Sie ergänzt diesen Teilaspekt, der die Attraktion ausmacht, ihrer Natur entsprechend - in sich - zu einem Ganzen. Dieses Bild entspricht aber ihrem eigenen Inneren (Animus), so dass sie in ihrem konkreten Partner mehr sich selbst sieht (das ist ja das Prinzip der Projektion) als ihn, den sie als Person gar nicht kennt. Sie sieht ihn nach ihrem inneren Bild so, wie er gar nicht ist, außer in diesem einen Teilaspekt.

 

Umgekehrt projiziert dieser Mann ja auch, nur ganz anders. Er sieht nur diesen Teilaspekt an der Frau (der seiner Anima entspricht), alles andere sieht er gar nicht, weil es nicht seiner reduzierten Welt entspricht. Er behauptet, die Frau zu lieben, kennt sie aber auch nicht, weil er nur diesen Teilaspekt sieht. So sieht auch er die Frau gar nicht, sondern nur den Teil, der seiner Welt entspricht.

 

Solche Beziehungen gibt es in vielen Variationen und vielen Teilaspekten, die jeweils durch Projektion zu einem Ganzen gemacht werden oder ein Teil als Ganzes gesehen wird. Nehmen wir ein konkretes, und um es deutlich zu machen, extremes Beispiel, das aber in mehr oder weniger Ausprägung typisch ist:

 

Ein bestimmter Aspekt löst die Projektion aus

Nehmen wir an, der Teilaspekt, der die Projektion auslöst, ist die körperliche Anziehung. Der Beginn der Beziehung spielt sich nur auf dieser Ebene ab. Ein Kennenlernen darüber hinaus findet gar nicht statt. Nehmen wir weiters an, sie ist sexuell wenig erfahren, er ist sexsüchtig. Er kann sie formen, wie es ihm passt, sie ist fasziniert von dieser neuen Erfahrung. Nehmen wir auch an, sie hat eine sehr ideale Vorstellung von Liebe, er ist Narzisst, und weil ihm die Empathie fehlt, weiß er gar nicht, was Liebe ist. Entsprechend werden die Projektionen aussehen. Sie wird ihre Idealvorstellungen projizieren, jede Berührung als Liebe empfinden, seine Attraktion für ihren Körper als „geliebt werden“ erleben. Er wird ihr sein Wollen als Liebe verkaufen, sie mit flammenden Worten überhäufen, die aber immer nur ihr Äußeres meinen.

 

Ihre Projektion impliziert, dass sie die Anzeichen, dass er nicht ihrer Projektion entspricht, gar nicht sehen kann. Sie wird alle Anzeichen übersehen oder entschuldigen. Sie kompensiert seine Körperlichkeit mit ihrem tiefen seelischen Empfinden. Aufgrund ihrer Projektion glaubt sie, er müsse auch so empfinden. Diese Projektion entspricht aber ihrem Animus, und nicht seiner realen Person. Was sie in dieser Beziehung ergänzt, kommt aus ihr selbst und nicht aus ihm. Sie ignoriert, dass seine Attraktion außerhalb des intimen Kontakts rasch auf Null fällt. Dass sie für ihn ein Spielzeug ist, das man nach Gebrauch in die Ecke wirft. Dass er sie auf allen Ebenen ausnützt und missbraucht.

 

Seine Projektion wird verhindern, dass er sie als Frau und Mensch sehen kann. Als Narzisst interessiert es ihn nicht einmal, wie es ihr so geht. Hauptsache sie steht zur Verfügung, wenn ihm danach ist. Es gibt fast kein Leben außerhalb des Schlafzimmers, jedenfalls kein gemeinsames. Dies ist ein Extrem, die Realität wird oft ein mehr oder weniger sein.

 

Einseitige Entwicklung führt zu immer größerer Diskrepanz

Er ist eingeschlossen in seiner reduzierten Welt und bewegt sich keinen Millimeter. Sie ist offen, integriert ihre Erfahrungen, lernt und entwickelt sich. Dadurch wird aber die Diskrepanz zwischen ihnen immer größer. Der Crash ist vorprogrammiert. Die Konditionierung macht es ihr aber schwer, die Beziehung loszulassen. Sie hat das Gefühl, ihr Inneres zu verlieren (was ja auch stimmt). Kam doch das Empfinden mehr aus ihr selbst als aus einer lebendigen Beziehung. Dazu kommt, dass Narzissten die besten Schauspieler sind und er ihr immer das vorgespielt hat, was sie in sich hatte, ihm aber fehlt. Dadurch konnte sie gar nicht zwischen Ich und Du unterscheiden. Es drehte sich alles um ihn und seine Bedürfnisse, sie selbst als Person kam darin gar nicht vor.

 

Ein möglicher Ablösungsprozess muss daher ein Selbstfindungsprozess sein. Ein sehr schmerzlicher Prozess, denn es geht darum zu erkennen, dass sich alles um seine kleine Welt gedreht hat und ihre Welt ignoriert wurde, dass sie alles investiert hat, und nichts von ihm kam. Dass die Beziehung durch ihre Energie aufrechterhalten wurde, und er sie nur ausgesaugt hat. Dass alles, was sie immer mit Liebe verband (und projizierte), aus ihr selbst, und nur aus ihr selbst kam. Das zu sehen, ist schmerzlich – aber wie das Sprichwort sagt: Besser ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende! Der Schmerz ist grausam – aber letztlich doch auch heilsam…

 

Aneinander wachsen

 

Dabei ist der Sinn von Projektion ein ganz anderer, kommt aber nur zum Tragen, wenn Projektion und Realität nicht so gänzlich voneinander abweichen – eine Beziehung mehr oder weniger auf Augenhöhe. Dann kann es nämlich zu einer Resonanz nicht nur der realen Personen, sondern auch des Unbewussten, der unbewussten Projektionen (Anima und Animus) kommen. Sie machen einerseits die Spannung aus, und andererseits kann der Partner an der Projektion wachsen und die Projektion am Partner realer werden. Jeder kann sich selbst, sein eigenes Inneres, am anderen besser kennenlernen. Das kann dann bei beiden ein inneres Wachstum aneinander auslösen. Basis dafür ist ein Wir und ein Gemeinsames. Egozentrik verhindert Beziehung…