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Götterdämmerung – Borderline-Beziehungen

 

Borderline ist eine schwer zu verstehende Persönlichkeitsstörung. Sie spielt sich an der Grenze zwischen zwei Bereichen ab. Borderline-Persönlichkeiten werden oft von negativen Emotionen übermannt bis besessen, die dem anderen wie ein Vulkanausbruch, wie eine Naturkatastrophe erscheinen. Es ist etwas Übermächtiges, das nicht steuerbar ist. Das deutet schon darauf hin, dass hier etwas Numinoses am Werk ist. Das Numinose ist nach C.G. Jung etwas „Göttliches“, das ambivalent ist, d.h. Positives und Negatives, Schönes und Schreckliches verbindet. Jung nennt das die Vatergottheit (Jahwe). Die Borderline-Persönlichkeit ist auf der Suche nach dieser ursprünglichen ambivalenten Vatergottheit.

 

Die Wurzel dieser Störung liegt in der Kindheit. Das Kind lebt diese ursprüngliche Einheit und verliert sie durch traumatische Erlebnisse, den Vater betreffend. Für den Vater ist das Kind zunächst der kleine Sonnenschein. Das wandelt sich dann, z.B. wenn der Vater nicht mehr das Kind sieht, sondern die Heranwachsende, diese Emotion verdrängt, was sich im ständigen aggressiven Heruntermachen äußert. Die sexuelle Seite der Aggression muss verdrängt werden. Das Vaterbild wechselt vom Positiven zum Negativen, symbolisch von der Liebe zum Hass, der sich im Kind mit jeder Episode steigert. Die Einheit der Ambivalenz wird nicht mehr ausgehalten und das Vaterbild aufgespalten. Dadurch kann sich das Bild des Animus nicht weiterentwickeln, sondern bleibt in dieser Gespaltenheit auf einem kindlichen Status stehen. Durch die Projektion kann kein inneres Selbst entstehen. Und durch die Ich-Schwäche werden alle Impulse aus der Tiefe übermächtig erlebt und ausgelebt.

 

Partner-Projektionen

 

Ist diese Spaltung sehr tiefgehend, dann setzt sie sich in den Partnerbeziehungen fort. Auch die Partner bewegen sich in dieser Spaltung zwischen Kind und Gott. Da kann es passieren, dass einer die irdisch-sexuelle Dimension beinahe total verdrängt, und den verlorenen Vatergott auf die Partnerin projiziert. Er wird sie einerseits zur Göttin überhöhen, andererseits die Verlustangst mit sich steigernden Aggressionen ausleben. Das Gefährliche dieser Variante ist, dass die Ablehnung des Irdischen zu einer tiefen Todessehnsucht führt.

 

Es kann aber genauso sein, dass ein Partner die irdisch-sexuelle Ebene kindlich-archaisch auslebt und die spirituell-numinose Seite total verdrängt. Er ist Kind und „Gott“, das erwachsene Ich oder Selbst fehlt total. Trotzdem ist die numinose Vatergottheit – weil unbewusst, umso mehr – in der Tiefe lebendig, was sich immer wieder in Hass-Eruptionen entlädt. Das mündet in einem Schwanken zwischen Liebe und Hass („Ich liebe dich – ich hasse dich“). Ein Borderliner projiziert ja die verlorene Vatergottheit auf die Partnerin, in der er dann auf archaische Art Liebe und Hass vereinigt.

 

Zweierbeziehung

 

Borderline-Persönlichkeiten zu „heilen“ ist an sich extrem schwierig, besonders wenn man die tieferliegende Sehnsucht nach der verlorenen ambivalenten Einheit nicht in Betracht zieht. Am schwierigsten wird es, wenn zwei versteckte Borderline-Persönlichkeiten aufeinandertreffen. Dann projiziert jeder die Gottheit auf den anderen, ist aber in der Ambivalenz von Liebe und Hass gefangen. Der andere wird idealisiert und verteufelt zugleich. Der eine lebt das „Ich liebe dich, ich hasse dich“, der andere spaltet die liebevolle von der zerstörerischen Seite, erkennt zwar das Zerstörerische ganz deutlich, trotzdem bleibt die Projektion aufrecht und nichts kann sich ändern.

 

Wenn er z.B. den kindlichen Aspekt mehr lebt, z.B. in einer kindlichen Sexualität, die sein ein und alles ist, ev. gespeist durch Pornos, die in kindlichem Nachahmungstrieb umgesetzt werden, dann kommt das ambivalent-Numinose auf der anderen Seite in unbeherrschten aggressiven Ausbrüchen zutage. Sie wird darunter leiden, aber ihre eigene Projektion des Vatergottes nicht zurücknehmen können. Das Aggressive ist ja Teil dieser Projektion. So klammern beide durch derselbe Projektion aneinander.

 

Die Lösung liegt dann nicht im Erkennen des Charakters des anderen, der ja hinter der Projektion immer zurücktritt. Diese Projektion wird immer stärker sein, selbst wenn die Aggressionen sich immer weiter steigern. Sie werden immer in der Einheit mit dem Positiven ein „Ganzes“ bilden. Und so kann es zu keiner „Lösung“ kommen. Die Lösung kann nur durch die Zurücknahme der Projektion erfolgen. Kein irdischer Mensch kann diese ambivalente Gottheit inkarnieren, sie muss als ein inneres Bild, als Archetypus erkannt werden. Und nur durch den Tod dieser Gottheit kann ein inneres Selbst entstehen, das in der Entwicklung zurückgeblieben ist. Ziel wäre es, nicht mehr in der projizierten Gottheit aufzugehen, sondern zu sich selbst zu kommen.

 

 

Das wäre möglich, wenn beide gleichzeitig zu dieser Einsicht und Rücknahme der Projektion kämen, was aber sehr unwahrscheinlich ist. Wenn sich nur einer zaghaft auf diesen Weg macht, wird er wahrscheinlich vom anderen immer wieder zurückgeholt. Der lebt ja noch in der Projektion, und die ist immer wieder manipulativ ansteckend. Er wird es immer wieder schaffen, auch im anderen die Projektion aufrecht zu halten. Davon loszukommen ist ohne (professionelle) Hilfe von außen kaum möglich. 

 

Bild: Anna Stangl, "ruminant touch 2"